(Hi 7,5-38,2 [gekürzt]) Mein Körper ist von Würmern
und von dreckigem Schorf bedeckt. Meine Haut platzt auf und eitert. Schneller
als ein Weberschiffchen sausen meine Tage dahin, sie schwinden ohne jede
Hoffnung. O Gott, bedenke, daß mein Leben nur ein Hauch ist! Mein
Glück ist dahin; es kommt nie wieder. Noch siehst du mich, doch nicht
mehr lange, und wenn du mich dann suchst, bin ich nicht mehr da. Wie eine
Wolke, die vorüberzieht, so ist ein Mensch, der stirbt: Vom Ort der
Toten kehrt er nie zurück, dort, wo er einmal wohnte, ist er bald
vergessen. Nein - ich kann nicht schweigen! Der Schmerz wühlt in meinem
Innern. Ich lasse meinen Worten freien Lauf, ich rede aus bitterem Herzen.
(...) Am liebsten würde ich erhängt! Lieber sterben, als noch
länger in diesem elenden Körper leben! Ich gebe auf! So will
ich nicht mehr weiterleben! Laß mich in Ruhe, denn mein Leben hat
keinen Sinn mehr! Gott, warum nimmst du einen Menschen so ernst? Warum
beachtest du ihn überhaupt? Jeden Morgen verlangst du Rechenschaft
von ihm; du beobachtest ihn jeden Augenblick. Wie lange schaust du mich
noch prüfend an? Du läßt mich nicht einmal so lange in
Ruhe, bis ich meinen Speichel heruntergeschluckt habe. Du Menschenwächter
- hat dich meine Sünde denn verletzt? Warum machst du mich zu deiner
Zielscheibe? Bin ich dir zur Last geworden? Wollte ich meine Kraft mit
ihm messen - er ist der Stärkere! Aber es geht ums Recht! Warum lädt
er mich nicht vor, damit ich mich verteidigen kann? Selbst wenn ich recht
hätte, würde Gott mich zum Geständnis zwingen; ich müßte
mich vor ihm für schuldig erklären, auch wenn ich schuldlos wäre.
Ja, ich bin unschuldig! Aber es ist mir völlig gleichgültig,
so sehr hasse ich mein Leben! Es ist alles einerlei; deshalb sage ich:
Egal, ob du gottlos bist oder fromm - er bringt dich doch um! Und wenn
sein Schlag plötzlich Unschuldige trifft, dann spottet er noch über
ihren Schmerz! Wärst du ein Mensch wie ich, dann könnte ich dir
antworten! Wir würden beide vor Gericht gehen, damit der Streit entschieden
wird. Aber es gibt keinen, der zwischen dir und mir entscheidet und für
Recht sorgt.
Dann aber redete Gott mit Hiob. "Wer bist du, daß du meine Weisheit anzweifelst mit Worten ohne Verstand?"
Das Problem, menschliches Leiden mit der Existenz eines liebenden Gottes in Einklang zu bringen, ist, daß wir uns in Gott mehr einen Großvater, als einen Vater wünschen, einen Opa, der froh ist seine Kinderchen verwöhnen zu können, sonst wüßte er ja gar nicht, wozu er noch da ist. Die Bilder von dem netten alten Mann, der unbeteiligt auf einer Wolke thronend hin und wieder sein Füllhorn ausschüttet, ist uns ja bestens bekannt. Aber es stimmt nicht.
(Hi 42,1-6) Da antwortete Hiob: «Herr, ich erkenne, daß du alles zu tun vermagst; nichts und niemand kann deinen Plan vereiteln. Du hast gefragt: 'Wer bist du, daß du meine Weisheit anzweifelst mit Worten ohne Verstand?' Ja, es ist wahr: Ich habe von Dingen geredet, die ich nicht begreife, sie sind zu hoch für mich und übersteigen meinen Verstand. Du hast gesagt: 'Hör mir zu, jetzt rede ich, ich will dich fragen, und du sollst mir antworten!' Herr, ich kannte dich nur vom Hörensagen, jetzt aber habe ich dich mit eigenen Augen gesehen! Darum widerrufe ich meine Worte, ich bereue in Staub und Asche!»
Der Mensch ist nicht der Mittelpunkt. Gott existiert nicht um des Menschen willen.
(Offb. 4,11) Du hast alle Dinge geschaffen, und zu deiner Freude sind sie da und wurden erschaffen.
Der Gott, der um unseretwillen existiert, ist der Gott, den wir uns selbst zurechtbasteln. Aber wie sollte der helfen? Eine Antwort kann er uns nicht geben, es sei denn, wir geben sie uns selbst.
Die Bibel zeigt uns Leiden von Anfang an als Konsequenz der Trennung des Menschen von Gott. Dabei ist es vorerst unerheblich, wer oder was zu dieser Trennung geführt hat. Bei der Frage nach dem Leid der Welt wird zum einen unterstellt, Gott tue nichts dagegen. Zum anderen tun wir so, als ob das Leid allein in Gottes Verantwortung liegt (1Mo 3,11-13): Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. Da sprach Gott der HERR zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß.
Wer ist nun Schuld an dem Desaster? Jeder schiebt die Schuld auf den
Nächsten und letztlich ist dann Gott an allem Schuld: Das Weib, das
DU MIR zugestellt hast,... Dabei war Adam in 1.Mo2,23 doch froh über
die Frau. Niemand hat die beiden gezwungen von der Frucht zu essen, aber
sie wollten es eben mal ausprobieren. Und als es schief geht, wird sich
beklagt: Warum hast du mir diese Frau gegeben, warum sind Schlangen hier
im Paradies und warum gibt es bittesehr diesen blöden Baum. Wir freuen
uns über all die Freiheiten, die wir haben, aber wenn wir sie mißbrauchen,
klagen wir Gott an, warum er uns diese Freiheiten läßt. Wenn
Gott jede Ursache von Leid ausmerzt, merzt er vor allem auch uns aus.
Aber warum Leiden Unschuldige? Bei einem Gewaltverbrechen ist es naheliegend,
daß ein anderer unter der Untat des Verbrechers leidet, das
macht ja erst das Verbrechen aus. Leid wird nicht unbedingt durch das Fehlverhalten
des Opfers ausgelöst. Bei Hiob war es der Wille des Satan und nicht
Hiobs Fehler, der zum Leiden führte. Trotzdem leidet nicht der Satan,
sondern eben Hiob und Gott räumt dem Satan die Macht ein, Hiob zu
quälen. Man könnte zwar den Eindruck gewinnen, die Täter
würden nie leiden, aber auch das täuscht. Wir überblicken
eben nicht alles (vgl. Offenbarung des Johannes):
Hiob: "Ich habe von Dingen geredet, die ich nicht begreife."
Hiob wird an keiner Stelle von Gott über die Hintergründe aufgeklärt. Aber er erfährt, daß es unsinnig, sogar verrückt wäre, wenn Gott ihm Rechenschaft geben müßte. Vielen leidenden und fragenden Menschen legt Gott auch heute noch keinen Rechenschaftsbericht vor. Statt dessen kam Gott als Jesus selbst in diese Welt und litt an unserer Stelle. Er wurde unter zwielichtigen Bedingungen in ärmlichen Verhältnissen geboren, in einem besetzten Land und in ein unterdrücktes Volk. Zeit seines Lebens versuchte er zu helfen. Wenn er von seiner „Heimat“ sprach, begriff ihn keiner. Er hatte viele Feinde und die Freunde, die er hatte, ließen ihn hängen, als es ernst wurde. Er wurde in einem unfairen Prozess von einem feigen Richter unschuldig verurteilt, gefoltert und schon halb tot aufgespießt an ein Kreuz. Dort krepierte nackt und erniedrigt er vor den hämisch spottenden Vertretern eines Gottes, der er selbst war.
Er büßte damit unsere Schuld ab (Rö 5,8 und viele weitere). Er tat es, da er einerseits gerecht, andererseits aber auch gnädig ist. Er tat es, weil er uns jetzt eine Amnestie anbietet. Gott läßt uns hier nicht einfach so verrecken. Er hat einen Plan mit uns und er will, daß unser Leben sinnvoll ist. Dafür ist es nicht unbedingt nötig, daß wir diesen Sinn sehen. Wir bekennen Gott als "liebenden Gott", weil wir ihm vertrauen, nicht weil wir ihn verstehen. Wir bekennen einen Gott, der Leiden lindert und im Leiden tröstet. Wir bekennen einen Gott, der sich selbst nicht zu schade war, für uns zu leiden und zu sterben. Und weil er so viel für uns getan hat, dürfen wir ihm vertrauen, auch dort, wo wir ihn nicht mehr verstehen.