Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was ER Dir Gutes getan hat.

Psalm 103, 2

wer bin ich

von Mirja Giehl





 

Inhalt:




Was ist eigentlich aus mir geworden?
Befreiungsschlag
Wer bin ich?
Der Scheck
Barmherzig und gnädig ist der HERR
Brückenabbau
Bildlich gesprochen
Das große Spektakulum
Bei Gott sind alle Dinge möglich
Lobe den HERRN, meine Seele
Mirja Giehl



 

Was ist eigentlich aus mir geworden?



Volker gab mir den Telefonhörer mit einem Schulterzucken. Er wusste nicht, wer am anderen Ende der Leitung war. Ich meldete mich mit einem fragenden "Giehl!?" "Ja, hallo. Mirja? Hier ist Markus J.!" "Ja - und? Muss ich dich kennen?" "Wir sind doch zusammen zur Grundschule in Lautenthal gegangen."

Ja, ich bin wohl zur Grundschule gegangen - und auch in diesem kleinen Dorf im Harz -, aber an Markus konnte ich mich wirklich nicht erinnern. Er sprach weiter, und schließlich dämmerte es mir. Ein Klassentreffen war geplant, und ich war die Letzte, die er nach einigen Mühen doch noch ausfindig machen konnte. Ein Klassentreffen: in diesem August 1997. Klar wäre ich dabei.

In den folgenden Tagen und Wochen machte ich mir viele Gedanken über dieses Ereignis, schließlich sollte es mein erstes Klassentreffen sein. Wer war denn damals alles mit mir in der Schule? Wen trifft man dort wohl wieder? Immerhin waren seitdem 17 Jahre vergangen. Was ist wohl so aus den Leuten geworden? - Was ist eigentlich aus mir geworden???

1980 war meine Familie aus diesem Ort fortgezogen. Solange meine Oma noch lebte, bin ich hin und wieder zu Besuch dort gewesen. Ansonsten zog mich nichts mehr zurück.

Während der Grundschulzeit war ich noch richtig gut in der Schule. Als meine Eltern sich einige Jahre später trennten, zerbrach nicht nur unsere Familie, sondern für mich der größte Teil meiner Welt. Meine Mutter ging, ich blieb bei meinem Vater, seine spätere Ehefrau kam, und dann ging auch meine Schwester. Die Zeit am Gymnasium wurde für mich zum Alptraum. Die "Krönung" war ein Ungenügend in Mathe auf dem Zeugnis - ausgerechnet in Mathe. Immer mehr war ich davon überzeugt, ein Versager zu sein. Einige meiner Lehrer unterstützten mich in dieser Ansicht. Schließlich wählte ich nicht einmal Religion ab - ich hätte es sehr gerne getan -, weil ich damit den Notendurchschnitt doch wenigstens noch ein wenig aufpolieren konnte.

Aber ich hatte sehr gute Freunde in dieser Zeit. Durch meine Konfirmandenzeit in der evangelischen Kirchengemeinde Oelde lernte ich viele Jugendmitarbeiter in der Gemeinde kennen - auch Volker. Früher war ich wohl hin und wieder im Kindergottesdienst gewesen, danach hatte ich eine Kirche das letzte Mal bei den Konfirmationen meiner Schwester und eines Cousins von innen gesehen. Nach meiner Konfirmation arbeitete ich in verschiedenen Gemeindegruppen mit: Jugendbibelkreis, Kindergottesdienst-Helferkreis, in einer eigenen Kindergruppe. Ich war mit viel Spaß und Engagement bei der Sache, bei der "Sache Kirche". Zu Hause fühlte ich mich schon lange nicht mehr wohl, aber bei meinen Freunden in der Gemeinde wusste ich mich verstanden, akzeptiert und geliebt.

Volker und ich wurden in dieser Zeit ein Paar, und bis auf meine Schwierigkeiten in der Schule und die ständigen Streitereien zwischen meinen Eltern, ging es mir recht gut. Seit meiner Konfirmandenzeit hatte ich in Gott einen Vater, zu dem ich immer kommen, mit dem ich reden konnte, wann ich es wollte, der mir aber gar nicht soviel sagte. Aber es war so in Ordnung: schließlich war ich ja Christ - also getauft, konfirmiert und sehr aktiv in der Gemeinde. So gesehen war ich also sogar ein "guter Christ" - was auch immer das sein mag.

In diese Phase hinein musste ich 1986 erneut umziehen. Nun schmiss ich meine Schule nach der zehnten Klasse hin, ich wollte einfach nicht mehr. Die räumliche Trennung von Volker machte mir zu schaffen. Ich war 16 Jahre alt, hatte also weder Führerschein, noch Auto und war immer darauf angewiesen, dass Volker - er war inzwischen 23 - zu mir kam. In dieser Zeit hatte ich kurzen Kontakt zu Mitgliedern einer Freikirche bekommen, diesen aber wieder abreißen lassen. Außerdem merkte ich, dass sich mein Verhältnis zu Gott veränderte. Irgendwie "spürte" ich ihn nicht mehr; ich bekam Angst, ihn zu verlieren. Mein Religionslehrer in der Berufsschule sagte mir, das käme wieder in Ordnung. Bis heute weiß ich nicht, ob er ein gläubiger Christ war und tatsächlich daran glaubte, dass dies geschehen würde.

Nach meiner Ausbildung zur Arzthelferin zogen Volker und ich zusammen. Ein Jahr später heirateten wir, und 1993 wurde unser Sohn Robin geboren. Bis dahin hatte ich in einer Fabrik und bei verschiedenen Ärzten gearbeitet. Aber ich war unruhig und rastlos. Häufig hatte ich das Gefühl, nicht dort hinzugehören, wo ich gerade war. Nur zu Volker - da gehörte ich hin. Unser Glück hätte eigentlich perfekt sein können, als unser Wunschkind gesund und munter nach einer schwierigen Schwangerschaft und problematischen Geburt endlich das Licht der Welt erblickte. Und - ich war todunglücklich und konnte mir diesen Zustand nicht erklären. Die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit wurde immer größer. Ich brauchte dringend Bestätigung von außen; irgend etwas musste es doch geben, das mir Selbstwertgefühl und Ruhe für meine Seele gab. So verkaufte ich eine Zeit lang Tupperware und konnte mir mit viel Arbeit Anerkennung, Geld und Erfolg verschaffen. Eine lang andauernde Krankheit ließ mich diese Tätigkeit beenden.

Während eines Kuraufenthalts Ende 1996 wurde mir sehr deutlich, dass ich mit meiner Kopfarbeit völlig unterfordert war. In der Rolle als Hausfrau und Mutter fand ich mich weiterhin nur mühsam zurecht. Ich liebte Robin, aber durch meine Unzufriedenheit war ich für ihn alles andere als eine ideale Mutter. Volker unterstütze mich in allen Dingen; er wollte, dass es mir gutgeht. Oft hat er mich einfach nur ertragen und ausgehalten.

Um meine geistigen Fähigkeiten wieder zu aktivieren, schafften wir uns einen Computer an, und ich belegte einige Kurse in der Volkshochschule - alles "just for fun", ohne richtige Aufgabe, ohne Ziel.

Das war alles, was aus mir geworden war! Und nun kam also diese Einladung zu dem Klassentreffen.

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Befreiungsschlag



Früher war ich eine gute Schülerin, so dass es für meine Eltern und mich klar war, dass ich das Abitur machen und anschließend studieren würde. Vieles war damals so klar gewesen, und plötzlich war alles doch ganz anders gekommen. Da stand ich nun mit meiner "Karriere" als Arzthelferin, Arbeiterin, Hausfrau und Mutter. Ich hatte meine Erwartungen und die anderer Menschen nicht erfüllt, aber ich sparte nicht mit Begründungen und Erklärungen, warum ich es nicht geschafft hatte. Und dennoch blieb für mich dieser Makel.

Im Programm der VHS wurden Schulabschlüsse angeboten, unter anderem auch das Abitur. Der Abendkurs umfasste 20 Wochenstunden und sollte drei Jahre lang dauern. Nach reiflichen Überlegungen entschied ich mich für diesen Weg - so konnte ich meinen Makel loswerden, hatte eine relativ sinnvolle Aufgabe, und bei dem anstehenden Klassentreffen konnte ich wenigstens vorweisen, mein Schicksal selbst in die Hand genommen zu haben.

Glücklicherweise fand das Klassentreffen erst sechs Tage nach Schulbeginn statt. So konnte ich den ehemaligen Mitschülern ruhigen Gewissens sagen, dass ich gerade das Abitur machte. Und ich hatte ja gute Gründe, warum das Ganze mit solch einer langen Verspätung geschah.

Die Schule machte mir viel Spaß und Arbeit und brachte wieder große Veränderungen für unser Familienleben mit sich. Volker unterstützte mich, wo er konnte, und so spielte sich der neue Tages-, bzw. Nachtablauf bald ein.

Zu dieser Zeit spitzte sich mein ohnehin sehr angespanntes Verhältnis zu meinem Vater zu. Nie hatte ich ihm gesagt, wie sehr ich unter ihm litt, er wusste nicht, wie es in mir aussah. Nur eine - für Außenstehende - vermeintliche Kleinigkeit ließ mich einen auch für mich schweren Schritt gehen: von einem Tag zum anderen erklärte ich meinem Vater, dass ich keinerlei Kontakt mehr zu ihm wolle. Ich selbst schwankte zwischen Trauer, Wut, Angst und Schmerz, dennoch war es für mich ein regelrechter Befreiungsschlag, über dessen Wichtigkeit und Notwendigkeit ich mir im Klaren war.

Einer meiner Mitschüler - Lothar - wurde mir zu diesem Zeitpunkt immer wichtiger. Jemand wie er, war mir noch nie begegnet. Einerseits gab er mir Sicherheit - zum Teil durch seine bloße Anwesenheit -, andererseits begann er damit, meine kirchlichen Aktivitäten und damit letztendlich mein ganzes Leben in Frage zu stellen. Dazu reichten ihm - und mir - einfache Rückfragen wie "Bist du sicher?" und "Echt?". Oder er wollte sich einfach nur etwas mir Selbstverständliches erklären lassen - und ich konnte es nicht! Mich selbst hatte ich schon lange nicht mehr hinterfragt. Wenn ich ihm Fragen stellte, gab er mir selten direkt darauf eine Antwort; aber er zeigte mir immer Wege, diese selber zu finden.

Diese Gespräche fanden kaum in der Schule, dafür um so ausgiebiger in den Nächten am Telefon statt. Wieder schwankte ich: diesmal zwischen Verunsicherung, Hilflosigkeit, Faszination und Wut Lothar gegenüber. Er gab mir das ungute Gefühl, meine Gedanken genau zu kennen, vor ihm hatte ich keine Möglichkeit, mich zu verstecken. Mitunter hatte ich Angst vor ihm, vor dem, was er mir zu sagen hatte, dennoch suchte ich immer wieder seine Nähe. Dass Lothar Christ war, merkte ich nicht - ich war völlig verfinstert.

Volker und Robin kamen gerade in dieser Zeit zu kurz, sie haben mich wieder ertragen und ausgehalten. Heute weiß ich, wieviel Leid ich ihnen mit meinem Verhalten und meiner Rücksichtslosigkeit zugefügt habe. Damals wusste ich nur, dass mein Leben, so wie es war, nicht bleiben, dass das doch nicht alles gewesen sein konnte. Ich war auf der Suche nach meinem persönlichen "Warum?", "Wohin?" und "Wer bin ich?". Und ich war - wenn ich es auch nicht wusste - auf der Suche nach etwas, das sich nie ändern, das immer Bestand haben würde, worauf ich immer vertrauen konnte, egal, wie die Zustände ringsherum auch aussehen mochten.

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Wer bin ich?



Das "Wer bin ich?" begegnete mir dann auf eine andere, für mich äußerst prägende Art: In dem Musical "Les Misérables" (Die Elenden) singt die Hauptfigur Jean Valjean ein Lied mit eben genau diesem Titel. Eine Textzeile in diesem Lied lautet: "Mein Leben hab‘ ich Gott geweiht, der Handel gilt für alle Zeit. Er gab mir Kraft, ich war verlor’n, durch ihn erst wurde ich gebor’n." Ich verstand es nicht.

Das Musical kann auf eine ganz kurze Formel gebracht werden - auch wenn man dem Stück damit sicher nicht gerecht wird: Der ehemalige Sträfling Jean Valjean nimmt Gottes Gnade und Vergebung und damit die Erlösung für sich in Anspruch; der Gesetzeshüter Inspektor Javert versucht, das Heil durch die unbedingte Einhaltung der Gesetze selbst zu erlangen - und scheitert.

Ich habe das Stück oft gesehen, verstanden habe ich vieles erst später. Ungefähr zu der Zeit, als ich mit der Abendschule begonnen hatte, veränderte sich meine eigene Sichtweise der Figuren in dem Musical. Anfangs war ich begeistert von der Person des Javert: er vertrat das Gesetz, er tat nur seine Pflicht und sorgte für die Ordnung. Der Valjean hingegen hatte mein Mitleid nicht, schließlich war er an seiner Situation, an seinem Unglück selber schuld. Nun aber erkannte auch ich, dass Javert zwar gesetzestreu, keineswegs aber barmherzig war. Er richtete sich einzig und allein am Recht aus - so wie ich, und nicht einmal das war mir gelungen. Ich war an vielen Stellen meines Lebens schuldig geworden, hatte aber immer wieder Möglichkeiten der Entschuldigung gefunden. Letztlich waren auch in meinem Leben immer andere Menschen oder sogenannte Umstände mehr schuld an dem, was mit mir los war, als ich selbst.

Das Musical fesselte mich immer mehr und wurde für mich bald zum Thema Nr. 1. Wann immer ich Zeit hatte, fuhr ich nach Duisburg ins Theater; wenn ich eigentlich keine Zeit hatte, arrangierte ich es so, dass es doch möglich war, zu fahren. Ich war mit meiner Familie, der Schule und den Musicalfahrten völlig aus-, manchmal auch überlastet. Oft funktionierte ich nur noch. Aus Angst, irgend etwas zu verpassen, wurde ich zum wahren Organisationstalent.

Schon vier Jahre zuvor hatte sich Volker in die Gemeindeleitung wählen lassen; zusammen übernahmen wir die Leitung einer Gruppe in der Erwachsenenarbeit, nachdem wir unsere Arbeit in einer Eltern-Kind-Gruppe beendet hatten. Später übernahm ich noch die Redaktion des Gemeindebriefes. So war ich also viel beschäftigt, kannte keine Langeweile mehr und hatte kaum noch Zeit, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Ich verlor mich im Aktionismus. Dem äußeren Anschein nach war mein Leben nahezu perfekt. Wieder wuchs die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit, denn meine innere Unruhe und Unzufriedenheit blieben. Ich ahnte, dass das nicht das wahre Leben sein konnte.

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Der Scheck



Im Sommer 1998 bekam ich Kontakt zu Drew Pulver, er war Sänger und Schauspieler im Musical-Theater Duisburg. Er faszinierte mich als Jean Valjean in "Les Misérables", da er diese Rolle nicht nur spielte, sondern lebte. Ich lernte ihn am Bühneneingang kennen und bekam von Bekannten den Hinweis: "Der hat einen guten Draht nach oben." Das hatte ich bis dahin von mir auch gedacht. Drew gefiel mir als Schauspieler und Sänger, und ich mochte ihn sehr gern als Mensch. Unsere Beziehung war einfach zu definieren: er war der Star, auch wenn er sich nie als solcher zu profilieren versuchte, und ich war der Fan. Immer mehr suchte ich seine Nähe, und im August gingen meine Freundin Angelika, Drew und ich gemeinsam nach einer Show Essen. Es war für mich wie ein Traum.

Nach diesem Treffen hoffte ich und war mir recht sicher, dass er mir für mein Leben etwas sagen, dass er mir weiterhelfen konnte. In einem Brief bat ich ihn um ein Gespräch, da für mich bis dahin vieles ungesagt und ungefragt geblieben war. Am 1. Oktober sahen wir uns kurz nach der Vorstellung und er wollte von mir wissen, um was es denn ginge, da er ja keine Ahnung davon hatte, wie es in mir aussah. Ich sagte ihm, dass ich mein persönliches "Wer bin ich?" nicht beantworten könne, dies aber gern tun würde, dass ich glaubte, dass er mir etwas für mein Leben sagen könne. Seine Antwort war ein schlichtes "It’s okay!"

Schon drei Tage später trafen wir uns zu einem ausgiebigen "Arbeitsessen", welches mein ganzes Leben nachhaltig beeinflussen sollte.

Er erwartete mich mit einer englischsprachigen Bibel für sich und einer deutschsprachigen für mich unter dem Arm. Das hatte ich nicht erwartet, da wir zuvor Glauben oder Gott nicht einmal erwähnt hatten. Als ich gerade mit dem Essen beginnen wollte, nahm Drew meine Hand und meinte, wir sollten doch zuvor noch miteinander beten. Da saß ich nun mitten in Duisburg in einem gut besuchten Steakhaus mit einem Tenor aus dem Musical "Les Misérables", der meine Hand hielt und mit lauter, kräftiger Stimme - so dass es auch für die anderen Gäste hörbar war - betete! Ich weiß heute nicht mehr den Inhalt des Gebetes, aber Drew beschränkte sich nicht auf ein kurzes Dankgebet für die Gaben; er betete und dankte Gott ganz für mich persönlich. Der Kloß in meinem Hals wurde immer dicker, das gemeinsame Amen konnte ich dennoch sprechen. Und wieder schwankte ich in meinen Gefühlen: diesmal zwischen Glück, Verwirrung und Erstaunen über etwas mir bis dahin völlig Unbekanntes. Nie zuvor hatte ein Mensch mich buchstäblich an die Hand genommen, um mit mir zu beten. Warum eigentlich nicht?

Wir haben an diesem Tag über so vieles gesprochen und in der Bibel gelesen; heute weiß ich, dass Jesus Christus mitten unter uns war.

Drew sagte zu mir: "Das, was Du an mir magst, was Dich an mir fasziniert, ist Jesus durch mich!" Das hatte gesessen! Jesus war für mich eine historische Person gewesen, jemand, der mir als Vorbild vorgehalten worden war, ganz nach dem Motto: Je ähnlicher du ihm wirst, desto besser bist du als Christ. Jesus Christus sagt von sich: " Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.", Johannes 14, 6 - die Bedeutung dieser Worte war mir unbekannt. Ich wußte nicht, dass ich Jesus selbst brauchte, nicht irgend welche ethischen Grundprinzipien von ihm! Irgendwann hatte ich auf dieses Vorbild verzichtet, denn Jesus zu erreichen, das schaffte ich doch sowieso nicht! Und nun sollte Jesus Christus mir in Drew Pulver begegnen!?

Es folgte die Geschichte, die mich wieder zu der Frage "Wer bin ich?" führte. Drew erzählte etwa folgendermaßen (Gleichnisse hinken immer an einigen Stellen!): "Stell‘ dir vor, du hast etwas ganz Schlimmes getan, z. B. einen Menschen überfahren, und nun kommst du vors Gericht und sollst dafür verurteilt werden. Jetzt passiert etwas Blödes: Ausgerechnet dein Vater ist der zuständige Richter, der über dein Schicksal zu urteilen hat. Du wirst für schuldig befunden und dazu verurteilt, die Summe von einer Milliarde Dollar zu zahlen oder lebenslänglich ins Gefängnis zu gehen, was der Todesstrafe gleichkäme, da dein Leben verwirkt wäre. Du hast aber kein Geld, um für deine Schuld zu bezahlen. Und nun geschieht das Unvorstellbare: Dein Vater erhebt sich von seinem Richterstuhl, zieht seine Robe aus, kommt zu dir und zieht sein Scheckbuch aus der Tasche. Er schreibt dir einen Scheck über die geforderte Summe aus - das ist alles, was er hat - und gibt ihn dir. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten, zu reagieren. Welche?" ich antwortete, dass ich ablehnen oder annehmen könne. "Richtig, du kannst sagen: Behalte dein Geld, ich bezahle meine Schuld selber. Oder du sagst: Danke Papa! - Hast du diesen Scheck jemals in Deinem Leben angenommen?" Ich überlegte nicht lange und antwortete, dass ich es getan hätte.

Nach unserem Treffen brachte ich Drew nach Hause, und im Auto betete er noch einmal mit mir für mich. Als ich wieder zu Hause war, überkam mich das große Elend: Mir wurde klar, ich hatte diesen Scheck niemals angenommen!

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Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte



Die kommenden Tage habe ich kaum noch in meiner Erinnerung. Deutlich steht mir jedoch noch ein Gespräch zwischen Lothar und mir vor Augen: Wir saßen abends nach der Schule in meinem Auto, und ich fragte ihn, was ich denn tun müsse, um diesen besagten Scheck anzunehmen. Er sagte, wir könnten jetzt gleich miteinander beten - er würde beten, danach ich -, so einfach sollte es sein, mich in die Hand des himmlischen Vaters zu geben? Im Auto lief die Musik von "Les Misérables": "Vergib‘ mir meine Sünden, Herr, und schenk‘ mir deinen Frieden!" Lothar meinte, in dieser Textzeile sei alles enthalten, um das es ginge. Das wollte ich nicht, begründete meinen Verzicht jedoch damit, dass ich mich von Lothar unter Druck gesetzt fühlte. Ehrlich gesagt, mir war nicht klar, was ich da eigentlich tun, wem ich mich ausliefern sollte. Nach dem Motto: "Lieber das bekannte Unglück, als das unbekannte Glück!" beließ ich alles beim Alten.

Nun stand ich völlig neben mir, und in mir tobte ein Kampf, der für mich undefinierbar war. In der nächsten Zeit nervte ich Lothar ständig mit der Frage, was ich denn tun solle und erklärte ihm meine Unsicherheit. Ich denke, er hatte Recht mit der Aussage, dass ich mich damit lediglich vor einer Entscheidung drücken wolle.

Der Teufel hat kräftig in meinem Leben mitgemischt; ich hatte Alpträume, in denen Robin tot war. Ich war sicher, wenn ich mich für ein Leben mit Jesus Christus entschiede, würde ich meine Familie verlieren. Lothar sagte mir, wenn ich Drew sagen würde, ich wolle Jesus als meinen Heiland in meinem Leben aufnehmen, wisse er, was zu tun sei. Zunächst brachte ich diesen Satz nicht über meine Lippen. Als es dann doch gelang, bot Drew mir an, am Telefon mit mir meine Lebensübergabe an Jesus Christus zu beten. Nein, das fand ich dann doch zu merkwürdig, und so lehnte ich zum zweiten mal ab!

Aber so wollte ich nicht weiterleben, was hatte ich letztendlich zu verlieren? Und so fand meine Lebensübereignung quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit am 16. Oktober 1998 ganz für mich alleine statt. Ich gab eine Bankrotterklärung meines Lebens ab und berief mich auf Matthäus 11, 28 "Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken."; das "alle" galt auch für mich. Ich bat Jesus Christus, in mein Leben zu kommen, wie er es verheißen hat in Offenbarung 3, 20 "Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und wird die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir." Jesus sollte der Herr meines Lebens sein - eine Vorstellung, wie das aussehen könnte, hatte ich damals noch nicht.

Natürlich habe ich in all der Zeit auch das Gespräch mit Volker gesucht, aber wir verstanden uns nicht mehr. Ich warf ihm vor, er wolle sich mit diesen Dingen und mit mir nicht auseinandersetzen - er konnte es gar nicht. Er wollte Antworten, die ich ihm nicht geben konnte, weil ich das alles selbst nicht richtig verstand. Ich war wütend auf ihn, dass er mich damit so an die Wand drückte. So wurden wir schließlich einsam zu zweit, wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Zu allem Überfluss kam die Tatsache, dass Volker sich 90 Kilometer entfernt in Recklinghausen selbständig gemacht hatte. Wenn er abends nach Hause kam, fuhr ich zur Schule, und am Wochenende war ich häufig in Duisburg - 135 km von zu Hause entfernt - in Drews Gemeinde im Gottesdienst und bei "Les Misérables".

Nach meiner Bekehrung passierte - irgendwie nichts! Komisch, das hatte ich mir anders vorgestellt; vielleicht nicht unbedingt Blitze vom Himmel oder einen Heiligenschein, aber vielleicht eine kleine Kleinigkeit, an der ich nun auch selber festmachen konnte, welch großartige Veränderung in meinem Leben stattgefunden hat.

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Brückenabbau



In der folgenden Zeit fühlte ich mich häufig nur noch leer und ausgebrannt, wieder war ich unsicher und traurig über meinen Zustand. Ich hatte so viele Fragen - andere Menschen auch -, aber ich konnte nicht mehr antworten, ich war müde. Ich wünschte mir so sehr, voller Überzeugung und Freude auf die Liebe Gottes vertrauen zu können, es klappte nicht. Und so stellte ich meine Bekehrung immer wieder in Frage. Was hatte ich bloß falsch gemacht? Ich fühlte mich einfach nicht "gut genug", um die Gnade "verdient" zu haben. Noch immer versuchte ich, mir die Erlösung selber zu beschaffen. Aber ich bat Jesus um Hilfe, er sollte mich davon freimachen.

Drew lud mich zu einem Gottesdienst nach Duisburg in seine Gemeinde ein. (Aufgrund von Renovierungsmaßnahmen mussten wir in die Christus-Gemeinde nach Mülheim ausweichen.) Während der Predigt war ich phasenweise überwältigt von diesem liebenden Gott, der mich in diese Liebe mit einzubeziehen schien. Es gab Momente, in denen ich mich regelrecht emotional "ausschalten" musste, um nicht plötzlich in Tränen aufgelöst dort zu sitzen. Und auch die Herzlichkeit der Menschen war mir fast zu viel, diese Offenheit und diese Liebe, die sie ausstrahlten, war mir in dieser Form zuvor noch nicht begegnet. Nun lernte ich Gemeinde kennen, wie sie von Jesus wohl gedacht war.

Volker und ich leiteten zu dieser Zeit noch immer den Gesprächskreis interessierter Erwachsener in unserer Gemeinde. Für eine Bibelarbeit im November suchte ich das Thema "Nikodemus", Joh. 3, 1-21, aus. In unserem Gespräch warf jemand die Frage auf, wie man denn nun eigentlich wiedergeboren werde, worauf prompt die Antwort folgte: "Na, durch die Taufe!" Das verstand ich nicht und fragte die Pfarrerin: "Durch welche Taufe?" Auf ihre Antwort, dies geschehe durch die uns bekannte Taufe, indem man Kinder taufe und diese dadurch den Heiligen Geist erhielten, das sei doch das, was wir glaubten, sagte ich nur: "Ich glaube das nicht!" Mir wurde klar, dass mir dort die Wahrheit verschwiegen wurde. Den Heiligen Geist erhält man nicht durch Aufsagen einer Formel und das Begießen mit Wasser. Das wäre doch Magie! Ich fühlte mich betrogen und verstand nicht, dass nicht einmal Volker das auch so sah. Im Gegenteil, er war ärgerlich, dass ich nun eine andere Sicht der Dinge hatte und diese auch öffentlich äußerte. 16 Jahre lang war ich kirchentreu aus Überzeugung, nun wurde ich kirchenuntreu aus Überzeugung. Mir war noch nicht klar, dass der Heilige Geist mir diese Klarheit geschenkt hatte, aber ich spürte deutlich Veränderungen in meinem Denken.

Einige Tage nach dieser Bibelarbeit bin ich aus der Kirche ausgetreten. Damit gab ich auch die Gemeindebriefarbeit auf und bescherte Volker neue Schwierigkeiten. Er warf mir vor, alles zu zerstören, was uns gemeinsam war, schließlich hatten wir uns doch in der Kirche kennengelernt. Es gelang mir nicht, ihm klarzumachen, dass sich daran doch nie etwas ändern würde. Er war maßlos traurig und enttäuscht; außerdem fühlte er sich als Mitglied in der Gemeindeleitung nicht gerade wohl, als seine Frau ihren Austritt erklärt hatte.

Da wir im Sommer 1999 - daraus wurde dann Januar 2000 - nach Recklinghausen umziehen wollten, schied Volker Anfang 99 aus der Gemeindeleitung aus.

In der Baptistengemeinde in Ahlen fand ich dann in der kommenden Zeit so etwas wie eine Zuflucht. Dort erlebte ich auch zum erstenmal eine Gläubigentaufe. Der Täufling erzählte aus seiner Zeit in der evangelischen Kirche, von all seinen Aktivitäten und sagte, dass er aber nie eine persönliche Beziehung zu Jesus gehabt habe. Ich war innerlich tief berührt, da ich den Eindruck hatte, dass er dort meine eigene Geschichte erzählte.

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Bildlich gesprochen



Volker ließ sich durch mich nicht bewegen, an einem "meiner" Gottesdienste teilzunehmen, aber durch Drew. Ich freute mich sehr, als er diesen Schritt endlich ging und mit nach Duisburg kam. Ihm war das alles sehr fremd, und er fühlte sich nicht besonders wohl. Trotzdem kam er einige Male mit, wahrscheinlich, weil auch er Drew sehr mochte.

Nach einem dieser Gottesdienste schenkte mir Drew das Buch "Bildlich gesprochen... Band 2" von Manfred Priebe. Zu dieser Zeit war ich daran interessiert, mehr über den Heiligen Geist zu erfahren, darauf sollte laut Hinweis jedoch speziell in Band 1 eingegangen werden. Ich ging dem nicht weiter nach.

Erst nach einigen Monaten stieß ich wieder auf dieses Buch. Da es im Eigenverlag erschienen war, versuchte ich, den Autor ausfindig zu machen. Nach einem Umweg gelang es mir, und ich hatte Manfred Priebe am Telefon. Er wohnte keine drei Kilometer von unserem zukünftigen Zuhause entfernt. Ich bestellte das Buch und eine CD-ROM, und er sagte: "Wenn sie dann erstmal hier wohnen, laden sie mich doch mal ein, dann komme ich vorbei, und wir können miteinander beten." Was war das denn für einer?

Zwei Tage später kam die erhoffte Post, anbei lag eine Karte mit folgendem Spruch: "So spricht Gott, der Herr: Rufe mich an, so will ich dir antworten und will dir kundtun große und unfassbare Dinge, von denen du nichts weißt", Jeremia 33, 3. Ich sah darin eine versteckte Botschaft - Rufe mich an - und da ich das sowieso vorhatte, rief ich erneut bei Manfred Priebe an und bedankte mich für die schnelle Lieferung. Wieder bot er mir für später ein Treffen an - wir verabredeten uns für die darauffolgende Woche.

Am 12. Mai 1999 trafen wir uns zum erstenmal. Kaum in der Tür bot er mir das "Du" an und wir führten ein intensives Gespräch. Zum Abschluss wollte er mit mir beten und mich segnen. Auf seine Frage, ob das schon mal jemand bei mir getan habe, antwortete ich mit "Nein, nicht dass ich wüsste.". Mir war in diesem Augenblick überhaupt nicht mehr bewusst, dass ich natürlich schon gesegnet worden war, z. B. bei meiner Konfirmation, unserer Trauung etc. Na ja, es konnte sicher nicht schaden, trotzdem empfand ich die ganze Situation als merkwürdig - im wahrsten Sinne des Wortes. Manfred betete für mich und sprach mir dann ein Absage- und Übergabegebet vor, das ich nachbetete. Heute weiß ich, dass meine Lebensübergabe im Oktober volle Gültigkeit hatte, dennoch machte es für mich einen Unterschied, vor einem anderen Menschen laut zu bekennen, dass mein Leben Jesus Christus gehören sollte. Manfred segnete mich, und wir verabschiedeten uns voneinander. Diese Stunde gehört zu denen, die ich nie wieder vergessen werde.

Schon eine gute Woche später, es war Pfingsten - Thema: Aussendung des Heiligen Geistes -, fuhr ich zum erstenmal in die Gemeinde nach Bochum-Hamme, um Manfred predigen zu hören. Die Menschen dort begegneten mir mit großer Freundlichkeit und Herzlichkeit. Ich fühlte mich in dieser kleinen Baptistengemeinde willkommen.

Am gleichen Abend und in den nächsten Tagen wurde ich wieder sehr unruhig und wusste zunächst überhaupt nicht, was nun wieder mit mir los war. Plötzlich wurde es mir klar: Ich wollte mich taufen lassen! Warum, konnte ich nicht begründen, aber ich wusste, dass das jetzt "dran" war. "Es ist nicht immer einfach, den Willen des Herrn zu erkennen, aber da, wo er eindeutig ist, sollten wir ihn tun." Meine Entscheidung bezüglich des Ortes fiel auf Bochum. Vor unserem Umzug ins Ruhrgebiet wollte ich mich jetzt noch nicht als Mitglied auf eine bestimmte Gemeinde festlegen. Manfred gestaltete das Ganze völlig unkompliziert und machte die Aufnahme nicht zur Bedingung für die Taufe; wir legten als Termin den 15. August fest.

Ungefähr zu dieser Zeit passierte es, dass ich mich beim Beten sagen hörte - anders kann ich es nicht formulieren - "... und ich liege hier und bin frei von aller Schuld"; da wusste ich, es ist wahr, dass Jesus Christus mir meine Schuld vergeben hat. Endlich konnte ich das auch für mich in Anspruch nehmen. Der Heilige Geist wirkte in meinem Leben.

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Das große Spektakulum



Volker konnte es nicht fassen: "Du bist doch getauft, was soll der ganze Quatsch!?" Dennoch konnte ich ihn überreden, noch vor meiner Taufe mit zum Gottesdienst nach Bochum zu kommen, bis dort waren es "nur" 99 Kilometer. Schon bei der ersten Begegnung überrumpelte Manfred Volker mit den Worten: "Ich bin der Manfred, wenn du willst, können wir nach dem Gottesdienst zusammen beten." Klasse - ich hatte Mühe, meinen Mann dorthin zu bekommen und Manfred offenbar keinerlei Probleme damit, ihn schnell wieder zu verjagen. Aber ich irrte mich. Volker ging darauf ein und ließ sich auch segnen. Das Absagegebet jedoch sprach er nicht.

Einige Wochen später fuhren wir zusammen mit Manfred, seiner Frau Gerda und Freunden von den beiden, mittlerweile auch von uns, zu "Les Misérables". Volker taute langsam auf - dachte ich.

Ich plante mit allem drum und dran meine Taufe: Drew hatte versprochen, zu singen; ein Freund wollte ihn am Klavier begleiten; viele Familienmitglieder und Freunde wurden eingeladen und der Tisch im Restaurant bestellt. Nur Volker hatte ich nicht persönlich eingeladen, weil ich selbstverständlich davon ausging, dass er käme. Für ihn war das allerdings überhaupt nicht so klar. Er tat mir schließlich den Gefallen, weil er wusste, wie wichtig seine Gegenwart für mich sein würde. Bis zum Tag meiner Taufe erlebte ich noch viele Anfechtungen, der Teufel ließ nicht locker. Jesus Christus aber auch nicht!

Aufgrund des bevorstehenden Umzugs und der Einschulung von Robin, beendete ich meine Schule bereits in diesem Sommer mit der Fachhochschulreife - ein Jahr früher als geplant. Ich brauchte kein Abitur mehr, um mich zu beweisen. Wir hatten in Recklinghausen eine kleine Zweizimmerwohnung ohne Küche und Bad, dafür mit WC und fließend kaltem Wasser als Übergangslösung angemietet. Dieser Übergang war für nur wenige Wochen geplant, daraus wurde mehr als ein halbes Jahr, da der Bau unseres Hauses sich immer wieder verzögerte.

Knapp zwei Wochen nach der Einschulung war nun endlich der Tag gekommen, an dem ich öffentlich mein Bekenntnis zu Jesus Christus in der Taufe ablegen durfte.

Wir erlebten einen wunderschönen und außergewöhnlichen Taufgottesdienst. Drews Gesang war wohl für die Mehrzahl der Anwesenden ein ganz besonderes Erlebnis - am meisten aber für mich. Alle Menschen, die mir in meinem Leben wichtig waren - und noch sind -, waren gekommen. Meine drei "Wegweiser" Lothar, Drew und Manfred erzählten aus meinem Leben - ich selbst war so aufgeregt, wie noch niemals zuvor und war dankbar, dass ich mich nur ganz kurz äußern musste. Volker saß stocksteif zu meiner Rechten; nur einmal fasste er kurz meine Hand. Ich konnte nicht ahnen, was sich in seinem Innern abspielte.

Meinen Taufspruch musste ich mir gar nicht aussuchen, es war eigentlich gleich klar, dass es nur dieser sein konnte: "So spricht Gott, der HERR, der dich geschaffen hat, und der dich gemacht hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!", Jesaja 43, 1.

Nach der anschließenden Feier erteilte Volker mir eine schroffe Abfuhr auf meine Frage, ob wir später noch miteinander telefonieren würden. Er blieb mit Robin in Recklinghausen, ich fuhr mit einigen meiner Gäste zurück nach Oelde.

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Bei Gott sind alle Dinge möglich



Ein ereignisreicher Tag sollte nun in Ruhe für mich zu Ende gehen - und wieder kam alles ganz anders. Volker meldete sich doch noch und war völlig verwirrt. Er wusste überhaupt nicht, was mit ihm geschah. Er berichtete, dass er das Gefühl habe, Gut und Böse würden in ihm gegeneinander kämpfen. Schon am Vormittag während des Gottesdienstes war es, dass er sich aufgefordert fühlte, zu gehen, aber etwas anderes hatte ihn bewogen, zu bleiben. So verzweifelt hatte ich ihn noch nicht erlebt. Außer zu beten konnte ich an diesem Abend nichts mehr für ihn tun.

Am nächsten Tag fuhr ich zu ihm. Volker verstand sich und die Welt nicht mehr. Er hatte einen Wachtraum gehabt, in dem Jesus mit mir auf einer Seite stand, er auf der anderen Seite, und dazwischen war eine tiefe Kluft. Er hatte die Realität gesehen - und verstand sie nicht. Wohl auch aus diesem Grund weigerte er sich, sein Leben Jesus Christus zu übereignen.

An diesem Abend und in den nächsten Tagen war Manfred seelsorgerisch bei uns im Dauereinsatz tätig. Immer wieder stellte Volker die Frage, ob das, was er in seinen vergangenen 36 Jahren geglaubt hatte, alles falsch gewesen sein sollte, ob es nicht genügen würde, zu Gott zu beten. Wozu Jesus? Manfred war barmherzig und beantwortete nicht alles.

Auch durch Mitglieder der Gemeinde in Bochum hatten wir viel Unterstützung im Gebet. Am schlimmsten war es für mich, Volker so leiden zu sehen, ihm aber nicht helfen zu können - den entscheidenden Schritt musste er schon selber gehen. Und ich befürchtete, dass er ihn nicht gehen würde.

Am Donnerstag fuhr Volker nach Oelde, ich blieb mit Robin in Recklinghausen. Abends rief er mich an und setzte mich davon in Kenntnis, dass er am kommenden Tag aus der Kirche austreten werde. Das konnte ich nun nicht begreifen - dieser Sinneswandel war für mich nicht nachvollziehbar. Volker selbst konnte keine logische Erklärung dazu abgeben, war sich aber absolut sicher, das Richtige zu tun. Gemeinsam erklärten wir auch Robins Austritt aus der Kirche. Volkers Unruhe blieb.

Am Samstagmittag geschah das fast Unmögliche: Volker kam mit seiner aufgeschlagenen Bibel zu mir und bat mich, folgendes zu lesen: "...Er (Paulus) stürzte zu Boden und hörte eine Stimme: "Saul, Saul, warum verfolgst du mich?" "Herr, wer bist du?" fragte er. "Ich bin Jesus, den du verfolgst", sagte die Stimme...", Apostelgeschichte 9, 1 - 18. "Das bin ich - nicht Paulus!" sagte Volker und wollte mit mir zusammen seine Lebensübergabe beten, nun sollte auch sein Leben Jesus Christus gehören. Das war zuviel für mich: Ich erlebte eine Gebetserhörung der besonderen Art und konnte es einfach nicht fassen.

So betete er das Absage- und Übergabegebet am nächsten Tag mit Manfred - und ich durfte dabei sein. Es war unbeschreiblich ergreifend. Das Angebot, sich schon in der kommenden Woche taufen zu lassen, lehnte Volker dankend, aber bestimmt ab. Im Hintergrund klärte Manfred trotzdem die Möglichkeit in der Gemeinde ab. "Alles wird gut, wirst sehen!" war seine feste Überzeugung. "Bekehrung: ja, Taufe: nein" war Volkers Aussage - zwei Tage später folgte seine Taufmeldung!

Bis zu diesem Sonntag erlebten wir eine furchtbare Zeit. Wieder einmal war eigentlich alles perfekt - für mich wohl zu perfekt: Ich stellte Volkers Bekehrung in Frage. Bei mir hatte dies alles so lange gedauert, und er bekehrte sich mal eben so auf die Schnelle? Wo war mein Glaube, mein Vertauen in Jesus Christus, wo mein Verstand geblieben? Wir zerstritten uns wegen einiger Missverständnisse und Kleinigkeiten, und wieder war Manfred im Dauereinsatz bei uns.

Plötzlich war der ganze Spuk vorbei, und Frieden kehrte wieder bei uns ein. Die ganze Gemeinde freute sich mit uns über diese Entwicklung in unserer Familie und erlebte nun die zweite Taufe innerhalb von nur 14 Tagen. Volker wünschte sich bewusst ein kleines Tauffest und lud nur eine befreundete Familie dazu ein. Seinen Taufspruch durfte ich für ihn aussuchen: "Fürchte dich nicht, denn ich stehe dir bei. Sei nicht ängstlich, denn ich bin dein Gott. Ich mache dich stark, ich helfe dir, ich schütze dich mit meiner siegreichen Hand!", Jesaja 41, 10.

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Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!



Mittlerweile wohnen wir endlich in Recklinghausen und haben in der Baptistengemeinde Herten ein neues Zuhause gefunden. Einmal wöchentlich treffen wir uns mit anderen Geschwistern zum Beten und Bibellesen im Hauskreis und sind dankbar und erstaunt, wie sehr unser Herr uns segnet und uns zum Segen setzt! Wir erleben Gebetserhörungen in kleinen wie in großen Dingen und können und wollen uns ein Leben ohne Jesus Christus nicht mehr vorstellen.

Im Rückblick - nach dem Schreiben dieser Zeilen - ist es für mich ein Wunder, dass es unsere Familie in dieser Zusammensetzung heute überhaupt noch gibt.

Ich weiß, dass wir diese Tatsache und alles Gute in unserem Leben allein der Gnade und der Liebe unseres Herrn Jesus Christus zu verdanken haben - und danke ihm dafür von ganzem Herzen!

Ich danke ihm, dass er mir immer wieder nachgegangen ist, dass er mir Menschen an meine Seite gestellt hat, die soviel Geduld mit mir und Liebe für mich hatten - und noch immer haben!

Ich danke meinem Herrn Jesus Christus, dass ich ihm gehöre und dass er damit auch meine Frage nach dem "Wer bin ich?" geklärt hat:

"Wieviele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben." Johannes 1, 12

"Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben." Johannes 3, 16

Homepage von Mirja Giehl

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