Glaube hat Gruende

Der Fels, der nicht in Rom war
Ein Beipiel zur Argumentation von Rudolf Augstein




Alle Jahre wieder veröffentlicht die Zeitschrift "der Spiegel", meist passend zu den kirchlichen Festen, Artikel, in denen versucht wird sich kritisch mit Glaubensfragen auseinanderzusetzen. Das Beispiel bezieht sich auf einen Kommentar von Rudolf Augstein zur Titelgeschichte aus dem Heft 17/2000 (der Spiegel) zum sog. "Heiligen Jahr" mit der Überschrift "Der Fels, der nicht in Rom war", Seite 114 und 115. Dabei versucht Herr Augstein anhand einer Kette von Behauptungen zu belegen, dass Petrus nicht in Rom war. Da ich kein Katholik bin und sich mein christlicher Glaube nicht auf irgendwelche Ereignisse in Rom, sondern auf den Tod und die Auferstehung Jesu bei Jerusalem stützt, habe ich keine Probleme mit der Annahme, Petrus sei nie in Rom gewesen. Doch bereits im vierten Satz wird mir unterstellt, der Petersdom in Rom wäre mein geistlicher Mittelpunkt:

«Dennoch galt und gilt der Petersdom in Rom als geistlicher Mittelpunkt der Katholiken in aller Welt, ja aller Christen.»
Bereits beim Schisma im Jahre 1054 nach Christus trennte sich die Kirche des Ostens vom Allgemeinvertretungsanspruch der Päpste in Rom. Es ist kaum anzunehmen, dass die orthodoxe Kirche den Petersdom in Rom, der als monumentale Grabeskirche der römischen Päpste gerade deren Überlegenheitsanspruch symbolisieren, als ihren geistlichen Mittelpunkt ansieht. Auch Luther, die anderen Reformatoren und in der Nachfolge die evangelische Kirche und die Freikirchen, werden den Petersdom, zu dessen Baufinanzierung die römisch katholische Kirche den Ablasshandel aufblühen ließ (der unter anderem zur Reformation führte), bestimmt nicht als ihren geistlichen Mittelpunkt hochhalten. Es ist mir rätselhaft, wen Herr Augstein meint, wenn er die Katholiken auf die gesamte Christenheit ausweitet. Um es kurz zu fassen: Es ist mir egal, ob Petrus in Rom war oder nicht, aber ich würde gerne wissen, worauf Rudolf Augstein seine Behauptungen stützt. Quellen werden in dem Kommentar nicht genannt und Begründungen kann man allenfalls erahnen. Nur in dem letzten Absatz von Herrn Augsteins Text wird eine Quelle "zitiert" (freilich ohne diese zu nennen) die leicht überprüfbar ist:
«Wenn es den Menschen Jesus denn überhaupt gegeben hat, so soll er einen Lieblingsjünger namens Johannes gehabt haben. Auf die Frage des Apostels Petrus, wer denn die Wiederkunft des Herrn erleben dürfe, zeigte der Herr auf Johannes: "Der wird bleiben." Petrus gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und drängte Jesus, sich offener zu erklären. Darauf der Herr: "Wenn Johannes bleibt, was geht es dich an?" Doch Petrus scheint auf seine Vorrangstellung unter den Jüngern gepocht zu haben. Da ließ ihn der Herr abblitzen mit den berühmten Worten: "Weiche von mir, Satan!"»
Ein Griff zur Bibel (Mt 16,21-23 nach der Elberfelder Übersetzung, vgl. auch Mk 8,31-33) legt offen, dass hier zwei unabhängige Stellen der Bibel aus dem Zusammenhang gerissen und zusammengefügt wurden:
«Von der Zeit an begann Jesus seinen Jüngern zu zeigen, dass er nach Jerusalem hingehen müsse und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden und getötet und am dritten Tag auferweckt werden müsse. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihn zu tadeln, indem er sagte: <Gott> behüte dich, Herr! Dies wird dir keinesfalls widerfahren. Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist.»
Der Text wird in beiden Evangelien vor der Kreuzigung Jesu angeführt, Herr Augstein stellt sie dennoch als "biblische" Antwort auf Joh 21,22 und ein weiteres Drängen von Petrus dar, obwohl Joh 21 eine Szene nach der Kreuzigung und der Auferstehung wiedergibt. Joh 21,13-23 nach der Elberfelder Übersetzung:
«Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen und ebenso den Fisch. Dies ist schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, nachdem er aus den Toten auferweckt war. Als sie nun gefrühstückt hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, <Sohn> des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Weide meine Lämmer! Wieder spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, <Sohn> des Johannes, liebst du mich? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht er zu ihm: Hüte meine Schafe! Er spricht zum dritten Malzu ihm: Simon, <Sohn> des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, dass er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb? und sprach zu ihm: Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe. Jesus spricht zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und hinbringen, wohin du nicht willst. Dies aber sagte er, um anzudeuten, mit welchem Tod er Gott verherrlichen sollte. Und als er dies gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! Petrus wandte sich um und sieht den Jünger nachfolgen, den Jesus liebte, der sich auch bei dem Abendessen an seine Brust gelehnt und gesagt hatte: Herr, wer ist es, der dich überliefert? Als nun Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was <soll> aber dieser? Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! Es ging nun dieses Wort hinaus unter die Brüder: Jener Jünger stirbt nicht. Aber Jesus sprach nicht zu ihm, dass er nicht sterbe, sondern: Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an?»
Mit dieser für einen seriösen Journalisten ungewöhnlichen Art von "Zitiertechnik" läßt sich natürlich jedem alles unterstellen. Ein Leserbrief mit Anmerkungen zu dem Kommentar wurde leider nicht veröffentlicht. Doch mehr noch als die Art der Bibelrecherche erstaunte mich, dass es möglich ist, eine so leicht widerlegbare Behauptung als Faktum darzustellen. Wenn hier schon so wenig Verläßlichkeit zu erwarten ist, wie vertrauenswürdig sind dann Aussagen, die, wie für solche Artikel üblich, ohne Quellenangaben als wissenschaftlich postuliert werden? Es wäre wohl sinnvoller, einmal einen wirklich fundierten Artikel zu verfassen, statt alle Jahre wieder den Glauben von Millionen von Menschen auf dem Niveau der Regenbogenpresse lächerlich zu machen.