zu der Fragen

Kurzzeitkreationismus



"Experten widerspricht man nicht! Besser man wartet bis sie es selber tun."


Ich möchte das unter "Woher komme ich" begonnene Gedankenmodell etwas weiterspinnen und dabei auch auf den sog. Kurzzeitkreationismus eingehen, der besonders in den Vereinigten Staaten (Institute for Creation Research), aber auch in Deutschland einige Anhänger hat. Es ist eigentlich müßig, dieses evangelikale Modethema weiter auszutreten, aber da beide Seiten oft über das Ziel hinausschießen, halte ich eine kritische Stellungnahme durchaus für angebracht.

Dass wissenschaftliche Aussagen über historische Verläufe den christlichen Glauben betreffen, wird spätestens dann deutlich, wenn die Auferstehung Christi oder gar die bloße historische Existenz des Menschen Jesu in Frage gestellt wird. Ist der Jesus der Bibel eine historische Figur, oder eine Erfindung von Paulus, der eine uns unbekannte gewöhnliche Person zu dem "Jesus" machte, die wir heute anbeten?

Dass auch Aspekte der Evolutuion ethisch nur schwer mit Gott, wie er sich in Jesus offenbart, vereinbar sind, liegt an der Darstellung Gottes durch Jesus: Liebe deine Feinde und lass dich retten zum ewigen Leben. Gott liebt dich und hat dich geschaffen, weil er ein Gegenüber wollte. Doch mit welchen Mitteln schafft sich Gott sein Gegenüber? Und lassen diese Mittel diesen Gott glaubhaft erscheinen?

Ohne Selektionsdruck hätten sich die Arten nicht in dieser Form entwickelt. Der Selektiosdruck stellt für das Individuum aber oft Leid und Tod dar, auch wenn sich der Selektionsdruck letztlich nur auf die Weitergabe der Erbinformation bezieht. Ein Individuum, das seine Erbinformation an mehr Nachkommen weitergibt, die sich reproduzieren, ist im Sinne der Evolution erfolgreicher als ein Individuum, das nicht so viele erfolgreiche Nachkommen zeugt. In der auf diese Reproduktion folgenden Lebenszeit macht das Individuum anschließend den besser angepassten Nachkommen die Ressourcen steitig, der Selektionsdruck bevorzugt demnach normalerweise Arten, die nach erfolgreicher Brutpflege auch bald sterben. Sogesehen sind die Fitten als Individuen die Verlierer, die nicht so fitten werden von den Fitteren verdrängt und sind ebenfalls Verlierer. Gewinner sind allein die Gene. Mutationen, die zu einer deutlichen Abweichung des Individuums vom Kollektiv führen, sind in fast alle Fällen keine gelungenen Anpassungen, sondern schwere Behinderungen, unter denen das Individuum wieder leidet und unter Selektionsdruck meist auch stirbt. Was ist das für ein Gott, der das Schicksal der Geschöpfe der Anpassung der Gene opfert?

Sogesehen ist die Beschäftigung mit diesen Themen durchaus nachvollziehbar (obwohl andere aktuelle Fragestellungen, wie die nach der materialistischen Ablehnung jeder nichtmateriellen Entität des Menschen, die als "Philosophie des Geistes" diskutiert wird, besonders auch außerhalb einer evangelikalen Minderheit größere Relevanz haben - siehe auch unten unter "Menschenbild" [Problematik] oder bei John C. Eccles). Das Problem ist nur, dass sowohl von evolutionistischer, wie auch von kreationistischer Seite oft wichtige Kritikpunkte des jeweils anderen in den populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen und Stellungnahmen zugunsten der eigenen Überzeugung weggelassen werden, und das vermittelt ja nun nicht gerade den Eindruck, als ob hier selbstkritisch nach Wahrheit gesucht wird.

Das prinzipielle Problem von Datierungen wurde wie gesagt unter "Woher komme ich" in Form einer erfundenen Szene im Anschluss an die Schöpfungsgeschichte dargestellt. Die Schöpfung einer Welt mit Vergangenheit ist nachvollziehbar und schlüssig. Sogesehen greifen "Gegenbeweise" von Seiten der Beführworter der Evolution schon im Ansatz ins Leere. Leider versuchen aber auch manche Kreationisten unter ihrer eigenen Annahme wissenschaftlich zu argumentieren, was ihre Annahme aber gerade ausschließt. Man gewinnt den Eindruck, dass Arbeitshypothesen vorausgesetzt oder ignoriert werden können, so, wie es einem gerade passt.

Wenn Gott eine Welt mit Vergangenheit schafft, deren historische Indizien widerspruchsfrei sind, dann führen diese Indizien eben wissenschaftlich eindeutig zu einem falschen Alter, und das richtige Weltalter ist dann wissenschaftlich nicht bestimmbar. Überspitzt formuliert: Gott hätte diese Welt vor fünf Sekunden erschaffen können, mit einem Menschen, der gerade im Internet surft, und er hätte diesen Menschen mit Erinnerungen an sein ganzes bisheriges Leben erschaffen können (diese Idee wird in dem Film "Bladerunner" aufgegriffen). Es gäbe dann grundsätzlich keine wissenschaftliche Methode, diese scheinbare Präexistenz zu widerlegen, wenn sie das ganze Universum betrifft (vgl. Glaube contra Wissenschaft). Um so unverständlicher ist nun aber, wenn manche Kurzzeitkreationisten versuchen, mit der Nickelkonzentration der Weltmeere oder der Staubhöhe auf dem Mond zu argumentieren, zumal diese Gegenindizien innerhalb des Modells der alten Erde schnell erklärt werden können (dynamisches Gleigewicht und erheblich niedrigere Rate an Meteoriten im "Windschatten" der Erde). Man kann natürlich auch annehmen, dass diese Welt nur zum Teil mit Vergangenheit geschaffen wurde, aber dann liegt eine widersprüchliche Indizienlage vor, aus der alles geschlossen werden kann (und falls dies der Fall ist offensichtlich auch wird).

Die Sichtweise des sog. Kurzzeitkreationismus basiert eben nicht auf wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern ist meist selbst die Arbeitshypothese, aus der lediglich die Beschreibung abgeleitet werden kann. Zur Veranschaulichung sei hier ein Text zitiert, den Wissenschaftler billigend unterschreiben müssen, wenn sie in die Creation Research Society aufgenommen werden wollen:

"1. Die Bibel ist das geschriebene Wort Gottes. Da wir an dieses als erleuchtete Offenbarung glauben, sind alle ihre Behauptungen historisch und wissenschaftlich wahr in allen ihren originalen Ausfertigungen. Für den Studenten der Natur bedeutet das, dass der Bericht der Ursprünge in der Genesis eine faktische Darstellung von schlichten historischen Wahrheiten ist.
2. Sämtliche Gruppen von Lebewesen, den Menschen eingeschlossen, wurden durch die schöpferischen Akte Gottes direkt in der Schöpfungswoche, wie in der Genesis beschrieben, geschaffen. Welche biologischen Veränderungen auch immer innerhalb der Schöpfung geschehen sein mögen, so fanden diese immer nur als Veränderungen innerhalb der ursprünglich geschaffenen Arten statt.
3. Die in der Genesis beschriebene große Flut, allgemein als Sintflut bekannt, war ein historisches Ereignis von weltweiter Ausdehnung und Wirkung.

Schließlich bleibt festzustellen, dass wir eine Organisation christlicher Menschen der Wissenschaft sind, die Jesus Christus als ihren Herrn und Retter akzeptieren. Die Behauptung der speziellen Schöpfung von Adam und Eva als Mann und Frau und von ihrem folgenden Sündenfall stellt die Basis für unseren Glauben an die Notwendigkeit eines Retters der Menschheit dar. Deshalb kann die Rettung allein durch das Annehmen Jesu Christi als unseren Erlöser erfolgen."

(Zitiert nach dem Urteil des United District Court, Eastern District of Arkansas, Western Division; Richter William R. Overton, 5. Januar 1982, aus Jeßberger 'Kreationismus', S. 28)

Damit ist das Ergebnis der Forschung schon vorweggenommen, bevor überhaupt geforscht wurde. Aber damit steht die Creation Research Society leider nicht alleine da. Von Verfechtern der Evolutionstheorie liest man immer wieder in öffentlichen Darstellungen vom "Fakt" der Evolutionstheorie, dass sie eindeutig stimme oder gar, dass kein ernstzunehmender Forscher die Evolutionstheorie in Frage stelle. Dabei lebt Forschung davon, dass Theorien in Frage gestellt werden. Ich frage deshalb umgekehrt: Kann man einen Wissenschaftler ernst nehmen, der eine Theorie nicht mehr in Frage stellt? Eine Theorie, die nicht mehr in Frage gestellt werden darf, ist letztlich nichts anderes als ein Glaubensbekenntnis und unterscheidet sich so gesehen nicht von dem Glaubensbekenntnis der Creation Research Society. Es wäre der Diskussion um Schöpfung und Evolution sehr zuträglich, wenn die Grundannahmen der diskutierenden Parteien schon vor der Auseinandersetzung offen auf den Tisch gelegt würden. Dem Institute for Creation Research muss daher wenigstens zugute gehalten werden, dass sie ihre Grundannahmen formulieren. Es wäre wünschenswert, wenn jeder Dozent im Rahmen der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses seine Grundannahmen und Arbeitshypothesen offen legen würde. Und es wäre wünschenswert, wenn mehr Wissenschaftler wie S. Scherer oder R. Junker sich trauen würden, vermeintliche wissenschaftliche Fakten in Frage zu stellen.

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